Texte

Kolumne

Begegnungen

Das Licht der Abendsonne malt krumme Schatten an die verglasten Schaufensterfronten des Kudamms. Ich lehne mich zurück, schiebe mir eine Zigarette zwischen die Lippen, zünde sie an, blase graue Kringel in den Wind und warte, vor mir auf dem Tisch ein zerfledderter Spiralblock mit umweltfreundlichem Papier. Der Hersteller des Blocks unterstützt die Arbeit des WWF in Deutschland – das sagt zumindestens die Kennzeichnung links über dem Scancode.

Begegnungen

Optimismus Island

Arztbesuche sind ja grundsätzlich eine unangenehme Angelegenheit. Aber wenn der eigene Organismus dermaßen rumzickt, dass der nette, grauhaarige Hausarzt an der Ecke massiv überfordert ist, artet ein „Kommen Sie morgen früh doch mal zur Blutentnahme” gut und gerne in eine regelrechte Tour durch die Berliner Ärztelandschaft aus. Die Tatsache, dass diese Tour für Privatpatienten gratis ist, ist zwar nicht wirklich tröstlich, aber wenn die Blutwerte Amok laufen und das ratlose Gesicht des netten, grauhaarigen Hausarztes deutlich macht, dass die folgende Nacht eine schlaflose Nacht werden wird, wird man genügsam.

Optimismus Island

SOULMATES NEVER DIE

Es ist Mittag, als ich erwache. Die zarten Glockenklänge, die Pink Floyds episches High Hopes einläuten, finde ich an diesem Mittag weder zart noch episch. Ich finde sie grauenerregend. David Gilmour singt mit sentimentaler Stimme von ebenso sentimentalen Kindheitserinnerungen und erklärt mir mit träumerischer Unverfrorenheit, dass das Gras damals viel grüner und das Licht viel heller war. Meine Finger fahren über das blinkende Touchscreen meines Handys und bringen Gilmour zum Schweigen.

SOULMATES NEVER DIE


Kurzgeschichten

A Memory

Deine Stimme tonlos und rau, wie ein gefrorener Windhauch mitten im Frühling.

Mein Versuch, dich zu erreichen, muss vor den eisernen Schemen des Jenseits, die deinen Blick verschleiern, kapitulieren. Deine Müdigkeit hat sich in Apathie verwandelt, und das jahrelange Taumeln an der Grenze lässt dich schweben. Du entziehst dich deinem eigenen Zugriff, während der Mahlstrom der vergessenen Erinnerung mich mit sich reißt.

A Memory

Choke

Gedankenverloren fixiert ihr Blick die versilberten Ziffernblätter der skurril anmutenden Vintageuhr, die an der Wohnzimmerwand gegenüber hängt und seelenruhig vor sich hintickt.

21:35. Gute eineinhalb Stunden sind vergangen, seit er die Schlafzimmertür hinter sich verschlossen hat. Er hat unbeschreiblich müde ausgesehen und der Gedanke daran, dass sie die Färbung seines Gesichtes unweigerlich mit kalter Asche assoziiert hat, lässt sie erschauern. Sein Lächeln hat gequält gewirkt, aber aufrichtig, und als er dort so im Türrahmen gelehnt hat, die rot unterlaufenen Augen zu Boden gerichtet,hätte sie ihn am liebsten festgehalten und nie wieder losgelassen, eine imaginäre Schutzmauer um sie beide errichtet und die Zeit angehalten.

Choke

Goodbye

Das Plätschern des Regens und das Heulen des Windes, der mit stoischer Gleichgültigkeit durch die Wipfel streifte, stand in surreal anmutendem Kontrast zu dem heimeligen Knistern des Kaminfeuers und dem sehnsüchtigen Wärmflaschensound, der unablässig aus der Anlage kroch. Vor zwei Stunden hatte sie die Repeat-Taste gedrückt, und der unverkennbare Gitarrenlauf von REMs Überhit Drive legte sich wie eine unsichtbare, flauschige Wolldecke über das Zimmer.

Goodbye

Grüne Lilie

Ihr schwarzes Haar war zerzaust und der Blick, der aus den grünen Tiefen ihrer katzenhaften Augen zu mir emporschoss, raubte mir binnen weniger Sekunden den Verstand. Der Fernseher auf der grauen Kommode links neben der Schlafzimmertür zeigte eine Live-DVD von „Dead Can Dance“, und die stickigen Überbleibsel eines brüllend heißen Sommertages flimmerten durch die Nachtluft. Ihre markanten Gesichtszüge spiegelten das Wesen einer Kriegerin, und sie reflektierten die unfassbare Vollkommenheit eines Moments, in dem die Zeit aufhörte zu fließen. Ihre Augen erschienen mir wie Türen, die den Zugang in eine Welt von nie erahnter Schönheit ermöglichten.

Grüne Lilie

The Lovegun Was Shot Down

Emotional Hardcore von Shirin Vorsmann

„Ein Blowjob am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen“, sagst du und grinst dieses dümmliche, von Geilheit benebelte Ballermanngrinsen. Ich könnte kotzen. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt: Ich sollte dir schwallweise ins Gesicht göbeln, um dieses Scheißgrinsen aus deiner sinnentleerten Visage zu entfernen. Verdient hättest du es, weil du lediglich den Augenblick fickst.

The Lovegun Was Shot Down

TRAUMA

„Ich kann das nicht!“

Deine Stimme dringt mechanisch und blechern durch den Telefonhörer. Ich schweige und kaue nervös auf einer Haarsträhne herum.

„Ich will leben, aber ich kann nicht. Verstehst du?“

Leben – du hast den Sinn dieses Wortes nicht vergessen. Du hast ihn niemals gekannt. Meine Gedanken verirren sich im Nirgendwo, und dein Atem klingt flach und unregelmäßig.

Trauma

Unendlich endlich

Es war fast 20 Uhr, als der Espresso zu wirken begann und die heiß gerauchte Zigarette im gläsernen Aschenbecher ihr Leben aushauchte. Sie wusste nicht, ob es Stunden oder Minuten waren, in denen sie dagesessen und versucht hatte, dass Chaos in ihrem Inneren zu visualisieren. Die gähnende Leere auf dem Bildschirm der futuristisch anmutenden Apple-Installation auf dem Schreibtisch gab ihr ein höhnisches Feedback, und das aggressive, verstrahlte Weiß des unbeschriebenen Dokumentes brannte in ihren Augen.

Unendlich Endlich